Am 12. Oktober 2023 erschien Anselm – Das Rauschen der Zeit in den Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei handelt es sich um den neuen Film vom deutschen Regisseur Wim Wenders. Über zwei Jahre lang begleitete Wenders den Künstler Anselm Kiefer und drehte ein beeindruckendes Porträt in 3D über ihn. Wie gut ist der 93-minütige Dokfilm und sticht er aus der Masse dieses Genres heraus?
Im Rahmen der Premiere am 19. Zurich Film Festival 2023 durften wir ein kurzes Interview mit Regisseur Wim Wenders am Green Carpet führen. Was er uns über die Dreharbeiten mit Anselm Kiefer und über sein kommendes Projekt erzählt hat, findet ihr im Video heraus.
Wer ist Anselm Kiefer?
Anselm Kiefer (*1945) ist einer der bedeutendsten Künstler des 21. Jahrhunderts. Er kreiert abstrakte Skulpturen, Installationen, Bücher sowie grossformatige Gemälde. Dazu nutzt er unkonventionelle Materialien wie Blei, Haare, Stroh, Pflanzen, Sand und Asche. Als Inspirationsquelle dienen ihm Motive aus der Literatur, Geschichte, Wissenschaft, Mythologie und Religion. Ausserdem hat er sogar Gebäude wie eine ehemalige Seidenspinnerei in Frankreich umgestaltet und mit Tunneln und Kunstinstallationen versehen. Für Furore sorgte Kiefer unter anderem, als er 1969 den Hitlergruss zu Kunst stilisierte. So fotografierte er sich zuerst vor diversen Landschaften und verewigte die Szene später auf Leinwand. Dadurch versuchte er, die Symbolgeste durch den absurd falschen Ort, an dem sie gemacht wurde, lächerlich zu machen. Neben seiner Arbeit als Maler und Bildhauer war Kiefer auch als Bühnenbildner und Kostümdesigner für Theater und Oper tätig und erhielt über 27 Preise, Ehrungen und Auszeichnungen.
Wenders setzt erneut die 3D-Technik ein
Was die Aufmachung anbelangt, hat Wim Wenders dasselbe Konzept wie bei Pina gewählt. So ist Anselm in schönen 3D-Bildern gehalten, die mit einem stereoskopischen Kamerasystem aufgenommen worden sind. Das heisst, er wurde nicht in 2D aufgenommen und anschliessend umkonvertiert – wie das bei vielen Hollywood-Filmen der Fall ist. Ausserdem fing er die Bilder in 6K ein. Das führt dazu, dass selbst die kleinsten Details auf der Kinoleinwand zu sehen sind. Beispielsweise in einer Weitwinkelaufnahme aus der Vogelperspektive, die Kiefer beim Bewegen eines Gemäldes zeigt. Jeder Teil des Bildes ist unglaublich gestochen scharf.
Eine kreative Erzählweise für einen Künstler
Anselm ist kein Dokumentarfilm im klassischen Sinne. So gibt es beispielsweise weder eine durchgehende Off-Stimme zu hören, noch kommen Weggefährten zu Wort. Jedoch gibt es Statements von Protagonist Anselm Kiefer zu hören. Die Doku blickt auf das Leben von Kiefer von klein auf bis hin zur Gegenwart. In chronologischer Reihenfolge werden die Ateliers des Künstlers und die wichtigsten Schaffensphasen gezeigt. Ergänzt wird dies mit verschiedenen kreativen Elementen. So gibt es beispielsweise Archivaufnahmen von TV-Interviews als Bild-in-Bild zu sehen. Wenders zeigt diese, indem er die damaligen TV-Geräte abgefilmt und die Archivaufnahmen auf deren Bildschirmen eingebaut hat. Zudem taucht immer wieder ein kleiner Junge auf, der den jungen Anselm Kiefer auf Entdeckungstour zeigt und mit dessen Werken agiert. Sogar Kiefers Sohn Daniel selbst spielt den jungen Anselm und man sieht, wie er mit unterschiedlichen Maltechniken experimentiert.
Für wen ist Anselm – Das Rauschen der Zeit geeignet?
Der Film spricht einerseits Fans von Dokumentationen und andererseits Liebhaber der Kunst an. Sollte man sich mit Anselm Kiefer und seinem Werk nicht auskennen (so wie ich), macht das nichts, da man ohne Hintergrundwissen den Film geniessen kann. Dank seinen 93 Minuten erfährt man alles Wissenswerte über den faszinierenden Künstler und seine Bedeutung in der Kunstwelt. Die Länge ist jedoch ein bisschen spürbar. Die Machart ist sehr eigen und punktet dank der 3D-Technologie und dem eher unkonventionellen Narrativ.
Dies hebt Anselm auch von den zuletzt inflationär veröffentlichten Netflix-Dokus ab, die in den letzten Monaten erschienen sind. Jedoch sollte man eine Begeisterung für Kunst mitbringen, um Wim Wenders neues Werk besser verstehen zu können. Die hochwertigen 3D-Aufnahmen in 6K sind sehenswert und bieten einen Pluspunkt. Da die Macher die Kunstwerke von Kiefer in eher gemächlichen Kamerafahrten zeigen, sind sie jedoch nicht so rasant, wie man es beispielsweise von Avatar: The Way of Water kennt.
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