Gijs Naber als Hagen von Tronje in Hagen - Im Tal der Nibelungen

Hagen – Im Tal der Nibelungen: Sagenhaft verfehlt?

Am 17. Oktober 2024 erschien mit Hagen – Im Tal der Nibelungen ein düsteres Sagenepos aus deutscher Feder des Regieduos Cyrill Boss und Philipp Stennert. Dabei stützten sie sich auf die Buchvorlage Hagen von Tronje des deutschen Autors Wolgang Hohlbein, der sich wiederum von der legendären Nibelungensage inspirieren liess. Der Film verspricht, das Gerne der klassischen Heldenepik zu dekonstruieren und Hagen als innerlich zerrissenen Charakter neu zu beleuchten. Doch schafft die Verfilmung es wirklich, der uralten Sage frischen Wind einzuhauchen?

Interview mit Cast & Crew am Zurich Film Festival

Im Rahmen der Weltpremiere von Hagen – Im Tal der Nibelungen am 20. Zurich Film Festival 2024 durften wir spannende Interviews mit den Regisseuren und dem Cast (Jannis Niewöhner, Lilja van der Zwaag, Dominic Marcus Singer) führen. Was die Regisseure Cyrill Boss und Philipp Stennert uns über das den Film und über die Dreharbeiten erzählt haben, findet ihr im Video heraus. Die Interviews mit dem Cast gibts auf unserem YouTube-Kanal.

Ein Land vor dem Krieg

Wir befinden uns im Burgunderreich, das sich im Schatten eines drohenden Krieges rüstet. Im Zentrum steht Hagen von Tronje (Gijs Naber), der Waffenmeister und enge Vertraute des Burgunderkönigs Gunter (Dominic Marcus Singer). Als sich die Nachrichten über eine nahende Bedrohung mehren, widmet sich Hagen der Ausbildung der Soldaten und erweist sich als unermüdlicher, wenn auch kalter Kämpfer, dessen Loyalität gegenüber Gunter unerschütterlich scheint. Doch sein Herz birgt mehr als nur Treue zum Thron: Er empfindet tiefe, unterdrückte Gefühle für Kriemhild (Lilja van der Zwaag), die Schwester des Königs, welche aber auch die Aufmerksamkeit eines Gastes der Burgunder Königsfamilie auf sich zieht.

Gijs Naber und Lilja van der Zwaag
Hagen und Kriemhild. | Bild: Constantin Film Verleih

Ein Netz aus Beziehungen

Dieser Gast ist niemand geringeres als der legendäre Drachentöter Siegfried von Xanten, dargestellt von Jannis Niewöhner. Mit seinem rohen, primitiven Auftreten mischt Siegfried den traditionsreichen und eher verhaltenen Charakter der Burgunder Königsfamilie auf. König Gunter sieht in Siegfried jedoch die Chance den Krieg zu gewinnen: Durch sein Bad im Drachenblut gilt Siegfried als unbesiegbar und wird deswegen bald zur Trumpfkarte Burgunds, was Hagen skeptisch beäugt. Auch die aufkeimende Beziehung zwischen Siegfried und Kriemhild stösst ihm sauer auf, doch nicht nur seiner heimlichen Gefühle wegen. Siegfried unterhält nämlich gleichzeitig auch eine Beziehung zur Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster), die wiederum auch von König Gunter wegen ihrer kriegerischen Fähigkeiten begehrt wird. Hagens Position als König Gunters rechte Hand wird immer schwieriger, als er die wachsenden Konflikte und Intrigen nicht mehr ignorieren kann – Konflikte, die letztlich alle Beteiligten ins Verderben stürzen könnten…

Rosalinde Mynster und Dominic Marcus Singer
Brunhild und König Gunter. | Bild: Constantin Film Verleih

Subversive Helden?

Mit Hagen – Im Tal der Nibelungen hatte die Regie offensichtlich das Ziel, das Heldentum der Nibelungensage zu entmystifizieren. Dies gelingt stellenweise gut: Hagens innere Zerissenheit und stumme Qual werden glaubwürdig dargestellt, ebenso wie der Kontrast zwischen seiner stoischen Art und dem eher impulsiven Siegfried. Siegfried, statt heroisch, wirkt oft wie ein ungestümer Haudegen und Casanova, was ihn zwar menschlich erscheinen lässt, aber auch stark in die Rolle des Antagonisten drängt. Der Zuschauer erlebt Siegfried somit als «Antihero» durch die kritischen Augen Hagens.

Im Gespräch mit Jannis Niewöhner (Siegfried), Lilja van der Zwaag (Kriemhild) und Dominic Marcus Singer (König Gunter).

Dennoch verpasst Hagen – Im Tal der Nibelungen die Chance, wirklich tiefgehende psychologische Schichten der Figuren auszuloten. Stattdessen verlagert sich die Erzählung häufig auf Schwertkämpfe, Schlachtszenen und Macho-Streitigkeiten zwischen den männlichen Figuren, was die aufkeimende Charakterstudie abrupt unterbricht und den Film zu einem eher „gewöhnlichen“ Haudrauf-Kriegsdrama macht. Die dramatische Vergangenheit Hagens und Siegfrieds wird zwar durch Rückblenden angedeutet, jedoch nie richtig ausformuliert. Auch im Bezug auf andere Figuren bleibt oftmals der Grund für ihre Gedanken oder Handelsentscheidungen vage und undeutlich, was einem das Gefühl vermittelt, dass entscheidende Puzzlestücke fehlen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass ursprünglich eine sechsteilige Seriefassung für RTL+ produziert wurde – die Kinofassung ist ein Zusammenschnitt davon. Die Serie erscheint im Frühjahr 2025.

Jannis Niewöhner als Siegfried von Xanten aus Hagen - Im Tal der Nibelungen
Siegfried geht siegreich aus der Schlacht hervor. | Bild: Constantin Film Verleih

Starke Heldinnen?

Bezüglich der Frauen in Hagen – Im Tal der Nibelungen stehen vorallem zwei im Zentrum: Kriemhild und Brunhild. Diese werden aber für mich leider auch nicht so gut ausgearbeitet, wie es das Potenzial der Figuren eigentlich zulassen würde. Kriemhild, die Schwester des Königs und Hagens verborgene Liebe, wird in erster Linie als Objekt der Begierde und strategische Schachfigur in einem Spiel männlicher Machtpositionen gezeigt. Ihr Charakter scheint auf ihre Rolle als Liebesinteresse und «Schwester des Königs» reduziert, und nur selten blitzt ihre eigene Stärke oder Eigenständigkeit durch.

Lilja van der Zwaag als Kriemhild aus Hagen - Im Tal der Nibelungen
Die Königstochter Kriemhild. | Bild: Constantin Film Verleih

Brunhild wird zwar als kraftvolle, kampferprobte Figur inszeniert, doch ihre Darstellung bleibt distanziert und fremdartig. Statt als vielschichtige Frau dargestellt zu werden, wird sie durchgehend exotisiert und auf ihre kämpferischen Fähigkeiten reduziert. Sie bleibt für Siegfried und die anderen männlichen Charaktere letztlich eine Herausforderung und Trophäe, ohne dass der Film tiefer auf ihre inneren Konflikte oder Wünsche eingeht.

Rosalinde Mynster als Brunhild aus Hagen - Im Tal der Nibelungen
Brunhild bereit für den Kampf. | Bild: Constantin Film Verleih

Hagen – Im Tal der Nibelungen im Hollywood-Look

Jedoch eines hat Hagen – Im Tal der Nibelungen für mich gut gemacht: Bezüglich Kameraführung und Setdesign ist das Endergebnis definitiv mit Filmen aus Hollywood und Co. vergleichbar; vorallem wenn man bedenkt, dass das Budget viel kleiner gewesen sein dürfte, als bei den amerikanischen Filmemachern. Gedreht wurde in Island und Tschechien, und somit bietet der Film auch einige schöne Totalen und Vogelperspektiven der dortigen Landschaft. Einzig die Kostüme von Pierre-Yves Gayraud hätten etwas schöner sein können, wo doch seine Arbeit bei anderen Filmen ein ziemlicher Augenschmaus ist (siehe beispielsweise die Kostüme in La Belle et la Bête). Besonders das erste Kostüm von Siegfried fällt negativ auf, da sein Oberteil eher an einen H&M-Pulli aus der letzten Winterkollektion erinnert, als an ein Kleidungsstück des Frühmittelalters.

Jannis Niewöhner Gijs Naber und Dominic Marcus Singer aus Hagen - Im Tal der Nibelungen
Siegfried’s Outfit (links) schreit nicht gerade nach Mittelalter. | Bild: Constantin Film Verleih

Mein Fazit zu Hagen – Im Tal der Nibelungen

Obwohl die beiden Regisseure Cyrill Boss und Philipp Stennert wirklich gute Grundideen hatten (siehe Interview), gingen diese für mich in der Endfassung eher unter. Hagen – Im Tal der Nibelungen ist ein ambitionierter Versuch, die Nibelungensage zu modernisieren und die Taten der hehren Recken der Geschichte zu hinterfragen. Der düstere, fast schon episch-melancholische Ton bildet eine ansprechende Grundstimmung, doch die Umsetzung lässt für mich leider oft zu wünschen übrig. Wo Tiefgang und psychologische Dichte hätten sein sollen, treten hektische Actionsequenzen und stereotype Charakterdarstellungen in den Vordergrund. Frauenfiguren kommen auch bei diesem Film leider wieder zu kurz. Letztlich bleibt Hagen – Im Tal der Nibelungen eine solide Unterhaltung für Fans des Genres, die jedoch etwas hinter den Stereotypen und fehlenden Handlungspunkten zurückbleibt. Bleibt zu hoffen, dass die Serie-Fassung überzeugender sein wird.

Im Gespräch mit Gijs Naber (Hagen von Tronje) und Rosalinde Mynster (Brunhild).