Ausnahmeregisseur Robert Eggers, der 2015 mit seinem Erstlingswerk The Witch die Kinofans begeisterte und zwei Jahre später mit The Lighthouse als umfassenden Fiebertraum von Meerjungfrauen nachlegte, versucht sich jetzt mit The Northman an der nordischen Mythologie. Unterstützung holt er sich hierbei mit einem Ausnahme-Cast. Denn neben Alexander Skarsgård sind auch noch Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman und Willem Dafoe auf der Leinwand zu sehen. Übertrifft der 70 Millionen Dollar Budget-Epos Eggers vorherige, klein budgetierte Filme?
In den Tiefen Islands
Wir befinden uns im Jahr 895 nach Christus im tiefsten Norden, in Wikingerkönig Aurvandils Land. Aurvandil will seinem 10-jährigen Sohn Amleth die Macht übergeben und auf die Möglichkeit des Blutvergiessens vorbereiten. Dies geschieht während einem fleischliches Ritual, das in einer rauchigen, jenseitigen Höhle stattfindet. Eine mystische Beschwörung der Ahnen durch einen Schamanen führt dazu, dass Amleth und Aurvandill wie Wölfe auf allen Vieren heulen und brüllen. Denn in der Ära von The Northman sind alle Menschen nur Wölfe. Doch bevor es zum Thronwechsel kommt, wird der König kaltherzig von seinem Halbbruder Fjölnir geköpft. Und dies noch zusätzlich vor den Augen des 10-jährigen. Dieser muss dann mit ansehen, wie seine Mutter, Königin Gudrún, schreiend weggetragen wird.
«I will avenge you father; I will save you mother; I will kill you Fjölnir!»
Nach vielen Jahren wächst der Junge Amleth in einer Bande zu einem kräftigen Krieger mit Bart, langen Haaren und Waschbrettbauch heran. «Ich werde dich rächen Vater, ich werde dich retten Mutter, ich werde dich töten, Fjölnir», lautet der Schlachtruf von ihm. Die Kampfszene, die Robert Eggers mit einer einzigen Einstellung gedreht hat(!), zeigt den rachesüchtigen Amleth der mehr Wolf als Mensch ist und halbnackt alles um sich niedermetzelt.
Bei einem Überfall auf ein weiteres Dorf wird er von einer Seherin erkannt und an seinen Schwur erinnert. Durch Gerede erfährt dieser, dass sein Onkel Fjölnir aus dem Königreich vertrieben wurde und nach Island geflohen ist. Von Hass getrieben, tarnt sich Amleth als Sklave und steigt auf ein Sklavenschiff. Dieses soll neue Arbeitskräfte für seinen Onkel bringen. An Bord lernt er die Sklavin Olga kennen, in die er sich dann verliebt, die gleichzeitig magische Kräft hat und ihm bei seiner Mission hilft.
«Your strength breaks men’s bones. I have the cunning to break their minds.»
Zitat aus The Northman–
Amleth ist nun in den Kreisen des Onkels. Durch irgendwelche mystischen Zusammenhänge erwirbt Amleth ein Schwert im Artus-Stil, die nur unter bestimmten Umständen gezückt werden kann. Alles zieht sich in Island in die Länge, eine Sexszene auf nassen Blättern lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer kurz aufschauen und dann plötzlich kämpfen zwei Silhouetten unter Vulkanfeuer gegeneinander.
Typisches Wikinger-Geschmäus mit visuellem Flair
Nun ja, The Northman ist nicht gerade wirklich «my cup of tea». Er verlangt vom Publikum, dass es übermächtige patriarchalische Werte, toxisches männliches Heldentum und die Torheit der Rache dekonstruiert, indem Kinofans durch extreme Hingabe an die Familienehre gezogen werden. Eggers‘ psychologischer Schock ist hier kühner als in seinen früheren Werken. Eventuell waren die Erwartungen aufgrund der puritanischen Halluzinationen von The Witch und die trostlose Meerjungfrauen-Fetischisierung von The Lighthouse zu hoch und liessen The Northman zu sehr wie unkonventionelle Freak outs wirken. Selbst die Erde ist bei diesem Film hasserfüllt.
Diese Freak outs, oder einfach extrem brutale Szenen ohne emotional belegbaren Hintergrund, haben andererseits eine immersive, kontemplierende Wirkung, wenn die Grausamkeit der Wikinger-Zeit dominiert. Die Brutalität der Wikinger und das gefühllose Kämpfen verkörpert Skarsgård extrem gut. Zu beleuchten ist die bereits oben genannte «One-Shot»-Kampfszene, bei der man sich durch die Kameraführung wie inmitten auf dem Schlachtfeld fühlt. Die Kamerabewegungen sind sehr dynamisch und untermauern oftmals – vor allem bei Schlachtszenen – den Appetit des «Rudels».
Ist The Northman zu empfehlen?
Für alle Kampffans und Sixpack orientierten Menschen: JA! The Northman fällt in die Schiene von The Green Knight, einfach mit weniger Emotionen, weniger Charaktertiefe aber dafür vollgestopften Kampfszenen, pompösem Bildmaterial und einem super Cast, der zum Teil zu kurz kommt. Nach Amleths Ankunft in Island nimmt jedoch die ganze Action ab und wird einzig durch die schönen Bilder getragen. Für mich: eine altbekannte Shakespeare Legende umhüllt in Wikinger-Burtalität. Amleth erinnert nicht zufällig an Shakespeares Hamlet 😉
Ich mag den Film. Meine Freundin nicht. Verständlich. Es ist einfacher für mich, sich mit dem Charakter des Films zu identifizieren. Hätte der Regisseur mehr von/gleich viel Perspektive von Olga in die Geschichte eingebaut, dann hätte auch mehr Identifikationspotenzial für meine Freundin bestanden. Ebenso hätte der Plot mehr Tiefe gehabt. Das ganze „Rache als einzige Emotion“ gedöse, wurde mit der Zeit fade. Schade Schokolade.