Claes Bang als Tell in Wilhelm Tell von Nick Hamm

Nick Hamms Wilhelm Tell – Schuss verfehlt oder grandiose Neu-Adaption?

Der britische Regisseur Nick Hamm hat den Mythos um den wohl berühmtesten Altdorfer verfilmt: Ab dem 31. Juli ist Wilhelm Tell mit Claes Bang in der Hauptrolle auch hierzulande im Kino anzutreffen. In Deutschland läuft der Film seit Mitte Juni. Doch wie setzt sich Hamms Wilhelm Tell mit dem Schweizer Nationalmythos auseinander? Als Rahmen war Schillers gleichnamiges Drama unverzichtbar, jedoch nimmt sich Hamms Interpretation einige handlungs- und figurentechnische Freiheiten. Als Schweizerin liegt mir der Mythos nahe, und deswegen ging ich gespannt, jedoch auch kritisch in den Kinosaal. Hat der neu interpretierte Wilhelm Tell mein Herz erobert?

Gewalttätige Österreicher

1307, in der Innerschweiz. Das Land ist gebeutelt von Tyrannei, ausgehend vom habsburgischen König Albrecht (Ben Kingsley). Seine Gefolgsleute und Beamten unterdrücken und plündern die Schweizer Kantone, und schrecken dabei nicht vor grausamen Taten wie Brandstiftungen und Vergewaltigungen zurück. Letzterem ist die Frau des Bauern Baumgarten (Sam Keeley) zum Opfer gefallen – als Rache tötet Baumgarten den habsburgischen Täter Wolfschiessen und ist fortan auf der Flucht. Am Vierwaldstättersee trifft Baumgarten auf den Titelhelden, welcher ihm als einziger über den See während eines gewaltigen Sturmes zur Flucht verhilft.

Sam Keeley als Baumgarten in Wilhelm Tell
Sam Keeley als Baumgarten. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Suspense im Bauernhaus

In Schwyz angekommen, finden Baumgarten und Wilhelm Tell Schutz im Heim der mit Tell befreundeten Grossbauern Gertrude und Stauffacher (Emily Beecham und Rafe Spall). Die Sicherheit währt jedoch nicht lange: Kurz darauf marschieren die Habsburger Gefolgsleute auf der Suche nach dem flüchtigen Baumgarten durch die Tür, allen voran der Landvogt Hermann Gessler (Connor Swindells). Nur durch Glück und Geschick bleibt Baumgarten von den Habsburgern unentdeckt, doch Gesslers Machtspielchen schüren das Verlangen der Truppe nach Widerstand und Einigung.

Ein Herz und ein Helm

Jedoch sind nicht alle Eidgenossen für Widerstand, wie Rudenz (Jonah Hauer-King), der Sohn des Freiherrs von Attinghausen beweist. Er ergreift vollends Partei für die Sache der Habsburger, und kann nur durch Bertha (Ellie Bamber), der Nichte des habsburgischen Königs, vom Gegenteil überzeugt werden. Bertha selbst steht im Zwiespalt, da sie als Habsburgerin loyal gegenüber ihrer Krone sein muss, doch ihr Herz schlägt für die Eidgenossen – insbesondere für Rudenz.

Ellie Bamber als Prinzessin Bertha in Wilhelm Tell
Bertha (Ellie Bamber) im goldenen Käfig, der habsburgischen Kutsche. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Indes spürt Gessler Tell und seine Verbündeten in Altdorf auf. Dort müssen alle vor einem aufgestellten habsburgischen Helm (in Schillers Version natürlich Gesslers Hut) beim Vorbeilaufen niederknien, was Tell verweigert. Der von Macht bessessene Gessler zwingt deswegen Wilhelm Tell dazu, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen, was Tell gelingt. Jedoch bemerkt Gessler den zweiten Pfeil, den Tell vor dem Schuss vorbereitete. Da dieser, laut Tell, für Gessler bestimmt gewesen wäre, wenn er den Schuss auf seinen Sohn verfehlt hätte, ordnet Gessler die Inhaftierung Tells an. Auch Bertha wird wegen Hochverrats gefangen genommen, und mit Tell zusammen über den Vierwaldstättersee Richtung Gefängnis transportiert.

Gemeinsam statt einsam

Die Wut der Eidgenossen wird immer grösser, bis schliesslich alle Verbündeten Tells, einschliesslich der Frauen, ein geheimes Treffen in einer Höhle vereinbaren – Hamms Interpretation des ‚Rütlischwurs‘. Nach einigen Diskussionen gibt Tells Ehefrau Suna (Golshifteh Farahani) den finalen Anstoss zum Widerstand gegen die Habsburger, was mit einem Angriffsplan auf das Schloss in Sarnen besiegelt wird. Doch leider wird es Opfer auf beiden Seiten geben…

Jonah Hauer-King als Rudenz aus Wilhelm Tell
Hamms Version des Rütlischwurs, mit Rudenz (Jonah Hauer-King). | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Wilhelm Tell im frischen Look

Wem Schillers Drama geläufig ist, dem dürften einige handlungstechnische Abänderungen aufgefallen sein, von denen es noch einige mehr in Wilhelm Tell zu entdecken gibt. Hamm führt nicht nur die drei Handlungsstränge, die bei Schiller präsent sind (Tell, Gründungsmythos und die Liebesgeschichte zwischen Bertha und Rudenz) näher zusammen, sondern baut sie auch aus. In Wilhelm Tell ist die Titelfigur nicht nur der schussbegabte Volksheld, sondern auch ein Mann mit inneren Narben. Hamm fügt Tell eine Vorgeschichte als Söldner bei den Kreuzzügen bei, durch die er sichtlich traumatisiert ist – filmisch wird dies durch Flashbacks gezeigt, von denen Tell regelmässig heimgesucht wird. Auch wenn die zusätzliche traurige Hintergrundgeschichte manchmal etwas klischeehaft wirkt, finde ich die Verbindung zu den Kreuzzügen eine gelungene Idee; so kommt Tells charakterliche Entwicklung vom hadernden Mann zum entschlossenen Freiheitskämpfer besser zur Geltung.

Golshifteh Farahani als Suna und Claes Bang als Wilhelm Tell in der Verfilmung von 2025
Suna (Golshifteh Farahani) und Wilhelm Tell (Claes Bang). | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Frauenpower in Wilhelm Tell

Auch wenn Schiller mit seinem Drama einige interessante Frauenfiguren kreierte – allesamt radikaler in ihrer Haltung gegen die Habsburger als die Herren der Handlung – bleiben sie doch nur in einer ‚beratenden‘ Rolle gefangen, während das Schlachtfeld den Männern vorbehalten ist. In Nick Hamms Wilhelm Tell jedoch, schicken die Frauen nicht nur ihre Männer in den Kampf, sondern erheben das Schwert gegen die Habsburger gleich selbst. Die drei Hauptfrauen Suna, Bertha und Gertrude sind in mehreren Actionszenen zu erleben, in denen sie furchtlos ihre Waffen schwingen.

Kampfszene von Nick Hamm
Gertrude und Suna gemeinsam im Kampf gegen die Habsburger auf Schloss Sarnen. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Selbst vor Mord schrecken Hamms Frauenfiguren nicht zurück; auch wenn ich Gewalt nicht gerne auf der Kinoleinwand sehe, war diese Darstellung für mich sehr erfrischend, da selten. In Schillers Version hingegen können bloss Männer „tapfer fechtend sterben“ – den Frauen bleibt als letzte Massnahme nur der Suizid.Kostümtechnisch sind die Frauenrollen sogar besser bedient als die Männer. Mit ihren aufwendig verzierten und farbigen Kleidern fallen sie in vielen Szenen visuell stärker auf, während die Männer hinter einer braunen und schwarzen Ledermasse verschwinden. Besonders die Kostüme für die Rolle der Gertrude sind liebevoll gearbeitet mit Pelzbesatz und Metallschnallen.

Emily Beecham als Gertrude
Emily Beecham als Gertrude. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Einer für alle, alle für einen

Nebst dem stärkeren Einbezug der Frauenfiguren bietet Hamms Wilhelm Tell auch mehr Diversität bezüglich ethnischer Herkunft: Tells Ehefrau Suna und Fürst, der von Amar Chadha-Patel gespielt wird, stammen beide aus dem nahen Osten. Diese Diversität im Cast ist jedoch nicht nur eine Modernifizierung des Stoffes, sondern passt auch zur Grund-Thematik des Tellmythos. Chadha-Patel bringt dies trefflich auf den Punkt mit einer Szene in Wilhelm Tell zwischen Suna und Fürst: «Es gibt einen Moment, in dem er sie auf dem Markt auf Arabisch und mit einem vertrauten Händedruck begrüsst.

Für mich steht das für die Freiheit, zu sein, wer auch immer wir sein wollen, und sich dennoch als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. […] Ich denke, dafür hat die Schweiz gekämpft.» Diese simultane Individualität und Vereinigung wird auch über Fürst’s Kostüm und Kampfstil transportiert, beide ein Potpourri aus christlich-westlichen und arabischen Elementen: Die Schlachten bewältigt er körperlich mit nicht-westlicher Kampfkunst, trägt aber als Waffe eine Mini-Armbrust am Handgelenk; auf seinem Gewand befindet sich christliche Ikonografie, jedoch kombiniert mit arabischer Schrift.

Amar Chadha-Patel als Fuerst aus dem Orient
Amar Chadha-Patel als Fürst beim Rütlischwur. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Gessler goes Hamm

Meine Sympathie gilt zwar den Eidgenossen, jedoch überzeugte mich bei Wilhelm Tell vorallem eine habsburgische Figur schauspielerisch am meisten: Connor Swindells als bösen Gessler. Swindells wurde durch die Rolle des Adam Groff in der Netflix-Serie Sex Education bekannt, welcher zwar auch negative Charaktereigenschaften aufweist, aber insgesamt eine viel sanftere Figur als Gessler ist. Ich war überrascht als ich die Rollenverteilung sah, da ich mir den habsburgischen Landvogt eher als furchteinflössenden älteren Mann vorstellte – etwa als mittelalterlichen Hans Landa – jedoch hat mich Swindells‘ Darstellung des jungen, sadistischen Gesslers komplett überzeugt. Swindells kreiert einen vollends psychopatischen Antagonisten, der mit seinem Interesse an Bertha (bei Schiller nicht vorhanden) Material für noch mehr Brutalität bietet, als Schillers Gessler.

Connor Swindells als Hermann Gessler in William Tell
Connor Swindells als sadistischer Hermann Gessler. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Gekleidet in Grün – aber nicht in schweizerischem

Die Geschichte rund um Tell spielt sich natürlich komplett in der Schweizer Bergwelt ab – wer sich jedoch auf authentische Landschaftsaufnahmen freut, dürfte enttäuscht werden. Wilhelm Tell wurde vollständig in Italien gedreht: Für die imposante Berglandschaft sorgte das Südtirol, während komplexere Szenen, wie der Sturm über dem Vierwaldstättersee, in einem Studio in Rom kreiert wurden. Immerhin erstellte das VFX-Team Double Negative 3D-Modelle von Teilen des echten Vierwaldstättersees für die Sturmszene, doch dies dürfte landschaftstechnisch das einzig ‚authentische‘ im Film sein. Von den 3D-Modellen kriegt man als Zuschauer aber leider nicht viel mit, da die Sturmszene vorallem in Close-Ups des Schiffes und der Figuren gefilmt wurde. Als Schweizerin enttäuschen mich die nicht-schweizerischen Drehorte, auch wenn die Landschaftstotalen im Film wunderbar anzusehen sind.

Panoramabild aus William 2025
Eine schöne Landschaft, aber keine schweizerische. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Ist Wilhelm Tell ein Antikriegs-Epos?

Laut Regisseur Nick Hamm und Hauptdarsteller Claes Bang war das Hauptziel von Wilhelm Tell zu zeigen, dass Krieg niemals die Lösung ist. Dies ist aber im Stile des Films nicht ganz ersichtlich, der sich genretechnisch an einem Actionepos à la Braveheart oder Gladiator orientiert. Die Kampfszenen sind gut choreografiert, jedoch reiht sich der Film in die zahlreichen anderen Actionfilme ein, die Gewalt gegenüber anderen stilisieren, und starke Grenzen zwischen Gut und Böse ziehen (was der usprüngliche Tellmythos auch tut). Wilhelm Tell ist keine pazifistische Reinterpretation, sondern ein Film im Stile eines Schwert-und-Sandalen-Epos im Ledergewand. Dies ist natürlich legitim, jedoch ist Wilhelm Tell somit definitiv kein Antikriegsfilm, was durch den Sequel-Teaser gegen Ende des Films nur verstärkt wird.

Neuer Actionfilm von Nick Hamm 2025
Geladene Armbrüste in Wilhelm Tell. | Bild: SquareOne Entertainment / ©2025 Ascot Elite Entertainment

Mein Fazit zu Wilhelm Tell

Nick Hamms Wilhelm Tell orientiert sich lose an Schillers Version, besticht aber trotzdem durch frische Elemente wie ausgebautere Figuren und mehr Diversität in der Truppe. Diese Diversifizierung dürfte einige Puristen stören; ich teile jedoch Chadha-Patels Einschätzung und finde, dass dies in das Thema der Gemeinschaft und des Einigungsgefühl im Tellmythos hervorragend passt. Spätestens wenn Suna ihre Ansprache während des Rütlischwurs hält wird klar: Dies ist ein Schweizer Nationalmythos, der alle mit offenen Armen empfängt, und nicht nur über die Taten weisser Männer definiert wird.

Abseits dieser Elemente ist Wilhelm Tell jedoch in erster Linie ein gewöhnlicher Actionstreifen, bei dem ich die pazifistische Message wohl übersehen habe. Auch wenn Tell anfänglich gebeutelt wird von seinen Flashbacks zu seiner Zeit als Söldner, ist er gegen Ende des Films wieder empfänglich für Krieg. Wer offen ist für gute Actionszenen und eine leichte Abwandlung von Schillers Stoff, dürfte seinen Spass haben an Wilhelm Tell, da viele Änderungen durchaus die Spannung steigern. Für Schiller-Puristen ist er jedoch nicht zu empfehlen.