John Magaro als Geoff Mason in September 5

September 5: Tim Fehlbaums nervenaufreibendes Kammerspiel

Am 9. Januar kam September 5: The Day Terror Went Live in die Deutschschweizer Kinos. Der neue Film des Schweizer Regisseurs Tim Fehlbaum beleuchtet das Olympia-Attentat von 1972 aus einer ungewohnten Perspektive: dem Inneren eines TV-Studios. Die Wahl dieser Perspektive wirft zahlreiche Fragen auf: Wie weit darf Berichterstattung gehen? Wann wird sie zur Bühne für Täter? Und welche Verantwortung tragen die Medien angesichts einer solchen Tragödie? Der Ansatz von September 5 ist mutig, insbesondere vor den aktuellen Hintergründen des Nahostkonflikts. Wie schlägt sich der Film mit solch einer polarisierenden Thematik?

Von Heiterkeit zur Tragödie

5. September 1972: Deutschland darf das erste Mal seit 1936 Gastgeber der Olympischen Spiele sein. Es sollten die «heiteren Spiele» werden, fernab von der wuchtigen Inszenierung der Olympischen Spiele kurz vor dem 2. Weltkrieg. Doch die Heiterkeit wird jäh von frühmorgendlichen Schüssen im Olympischen Dorf unterbrochen – schnell wird klar, dass es sich bei den Schüssen um palästinensische Terroristen handelt, die elf israelische Sportler als Geiseln nahmen. Was als einendes Sportereignis begann, mutiert zu einer transnationalen Tragödie.

John Magaro in September 5 – The Day Terror Went Live
John Magaro als motivierter Producer Geoff, im Hintergrund die Fotos der Geiseln. | Bild: © Constantin Film Verleih

Voyeuristisch, vereitelnd oder von Nöten?

Die Schüsse wecken sofort die Aufmerksamkeit des sich vor Ort befindenden Senders ABC Sports, insbesondere die des jungen Producers Geoffrey «Geoff» Mason (John Magaro). Durch die Platzierung des ABC Studios gleich neben dem olympischen Dorf ist es der einzige Sender, der das Geschehen live übertragen könnte. Sofort übernimmt Geoff die Leitung der Live-Berichterstattung. Mithilfe der deutschen Dolmetscherin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) sind er und die restlichen Produzenten im Control Room des Studios im ständigen Kontakt mit dem olympischen Komitee und der deutschen Polizei.
Jedoch mischen widersprüchliche Informationen die Berichterstattung auf und erhöhen den Stress innerhalb des Control Rooms. Der anfängliche Ehrgeiz wandelt sich in Unsicherheit. Selbst Roone Arledge (Peter Saarsgard), der legendäre Programmdirektor von ABC Sports, kämpft zunehmend mit moralischen Dilemmata und drängt Geoff dazu, die Live-Aufnahmen abzubrechen. Als die übertragenen Bilder auch noch einen Polizeieinsatz vereiteln, hängt in der stickigen Luft des Control Rooms die Frage: Ist die Berichterstattung ein unverzichtbarer Beitrag zur Aufklärung, reine Sensationsgier oder gar eine Gefahr für die Geiseln der Tragödie?

Peter Sarsgaard John Magaro und Leonie Benesch aus September 5
Dicke Luft im Control Room. | Bild: © Constantin Film Verleih

September 5 bietet ein einzigartiges Setting

September 5 spielt ausschliesslich in einer Kopie des damaligen Studios von ABC Sports – das einzige visuelle Fenster zur Aussenwelt sind die Monitore im Control Room. Nicht nur storytechnisch ist das klaustrophobische Setting beeindruckend, sondern auch produktionstechnisch: Szenenbildner Julian R. Wagner hat das Studio der ABC Sports von 1972 detailgetreu nach den Originalbauplänen reproduziert. Das nachgebaute Studio wurde mit Originalgeräten aus den 60ern und 70ern ausstaffiert, die teilweise wieder funktionstüchtig gemacht werden mussten.

Marcus Rutherford und Leonie Benesch im ABC-Sportstudio
Marianne (Leonie Benesch) und Carter (Marcus Rutherford) inmitten analoger Gerätschaften. | Bild: © Constantin Film Verleih

Beeindruckend ist auch die nahtlose Integration von Originalaufnahmen aus dem ABC-Archiv, die während der Liveübertragungsszenen in September 5 jeweils auf die Monitore geschaltet wurden. Laut dem Produzenten Philipp Trauer war es eine besondere Herausforderung, das alte Bildmaterial digital während der Szenen aufzubereiten, da diese auf Kommando auf die alten Monitoren übertragen werden musste. Jedoch lohnte sich der Aufwand, da die Originalaufnahmen der damaligen Berichtserstattung erheblich zum authentischen Charakter von September 5 beitragen.

Kulisse Control Room ABC Sports Olympische Spiele 1972
Originalaufnahmen mit Moderator Jim McKay und Bildern des olympischen Dorfes. | Bild: © Constantin Film Verleih

Stress im Studio

Auch wenn ein enges, altes TV-Studio als Setting nicht gerade an Drama und Spannung denken lässt, bietet September 5 genau das. Insbesondere die Szenen, in denen John Magaro als Geoff die Verantwortung übernimmt und aus den einzelnen Originalclips in Echtzeit eine fesselnde Berichtserstattung orchestriert, sind sehr intensiv: Beim Zuschauen spürt man förmlich die schnelllebige und gestresste Atmosphäre im Studio von ABC Sports. Diese Szenen gehören deswegen zu meinen Lieblingsmomenten bei September 5; die schauspielerische Leistung des kompletten Casts gepaart mit der Regie- und Schnittarbeit ist meisterhaft umgesetzt. Das Schneiden des Films übernahm Hansjörg Weissbrich.

Ein weiteres Highlight sind die Darstellungen von Peter Saarsgard und Leonie Benesch, die auf ganz unterschiedliche Weise die Entwicklung ihrer Figuren in ein moralisches Dilemma zeigen. Während Saarsgard Roone Arledge bestimmt und aufbrausend interpretiert, überzeugt Benesch durch subtile Nuancen. Als Dolmetscherin steht ihre Figur Marianne Gebhardt zwischen den Fronten: Mit ihr wird ABC Sports’ geschichtsträchtige Berichterstattung überhaupt möglich. Denn sie agiert als kommunikatives Bindeglied zwischen ABC Sports und den lokalen Akteuren ausserhalb des Studiogebäudes. Diese Kommunikation erfolgt ausschliesslich fernmündlich über Funkgeräte und Telefone; dies ist, nebst den Monitoren, der einzig andere Kontakt für die Reporter (und auch die Zuschauer) zur Aussenwelt in September 5.

Leonie Benesch in September 5
Marianne im Studio von ABC Sports, im Hintergrund zwei ihrer Kommunikations-Werkzeuge. | Bild: © Constantin Film Verleih

Mediales im Mittelpunkt

Auch wenn der Nahostkonflikt mehr als ein Jahrhundert zurückreicht, ist er aktueller denn je. Filme wie September 5 können im aktuellen politischen Klima schnell anecken. Jedoch distanziert sich September 5 gekonnt von politischen Statements und fokussiert sich einzig auf die Perspektive der Medien. Die Täter des Terroraktes werden weder gezeigt, noch anderweitig ins Rampenlicht gestellt; auch die Opfer werden nur am Rande thematisiert. Diese Reduzierung ist künstlerisch wie auch vertriebstechnisch eine gelungene Entscheidung, und ermöglicht einen umso grösseren Aktualitätsbezug – nämlich zur «Macht der Bilder» im Zeitalter von Live-Streams und Social Media, so Regisseur Tim Fehlbaum.

Ben Chaplin in September 5
Allein durch das Auge der Medien – Ben Chaplin als Produktionslegende Marvin Bader. | Bild: © Constantin Film Verleih

Mein Fazit zu September 5

September 5 ist ein mutiger Film, der mich vorallem durch seine präzise Erzählweise und den Fokus auf die Perspektive der Medien überzeugt hat. Trotz der räumlichen Begrenzung auf das Studio von ABC Sports gelingt es September 5, eine emotionale Wucht zu entfalten. Das authentisch gestaltete Setting versetzt den Zuschauer förmlich in den Control Room der 70er Jahre und lässt ihn den Stress der Reporter während der 21-stündigen Live-Berichtserstattung nachvollziehen. Und: Die Laufzeit von September 5 wurde im Vergleich zu anderen Kandidaten nicht in die Länge gezogen, sondern dauert klassische 90 Minuten. Eine willkommene Abwechslung!