Thorbjørn Harr in Kadaver

Das Gruselhotel in Norwegen – Kadaver erzählt eine schockierende Geschichte

Vor Kurzem habe ich mir den 2020 erschienenen Horrorfilm Kadaver bei Netflix angesehen. Der Streifen gehört zu den Eigenproduktionen des Streaming-Anbieters und ist dabei die erste aus Norwegen. Der Name ist mir sogleich ins Auge gesprungen und hat mich auf einen spannenden Horrorfilm hoffen lassen. Zudem hat mich das Setting der dunklen und postapokalyptischen Welt interessiert. Konnte Kadaver meine Erwartungen erfüllen oder handelt es sich leider erneut um eine Netflix-Produktion, deren Qualität grossen Blockbustern hinterherhinkt?

Spoilerwarnung: Dieser Artikel enthält leichte Spoiler zum Film Kadaver

Eine Einladung, die alles verändert

Norwegen und grosse Teile der restlichen Welt sind nach einer Nuklearkatastrophe in einer schier aussichtslosen Situation. Eine Hungersnot hat das Land befallen und sämtliche Infrastrukturen sind zerstört. Die Menschen, die die Katastrophe überlebt haben, kämpfen um den Rest an Nahrungsmitteln. Die Strassen sind gepflastert von Leichen; einige verhungert, andere ermordet. Inmitten dieses Chaos lebt die kleine Familie in einem halb zerstörten Haus. Das Ehepaar Leonora und Jacob versuchen alles menschenmögliche, um ihrer Tochter Alice ein einigermassen gutes Leben zu ermöglichen. Doch die Hungersnot fordert ihren Tribut und die drei müssen sich stehts vorsehen, nicht auf offener Strasse angegriffen, ausgeraubt oder getötet zu werden.

Eines Tages hält ein kleiner Zirkuswagen Einzug in der zerstörten Stadt. Dessen Lichter sind in den dunklen Strassen und Gassen der norwegischen Stadt meilenweit zu sehen. Neugierig wagen sich die Menschen aus ihren Häusern und Verstecken, was führt den mysteriösen Mann mit seinem Wagen zu ihnen? Tatsächlich scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen, der Mann verkauft Eintrittskarten für ein Theater, inklusive einer warmen Mahlzeit. Leonora kann ihr Glück kaum fassen, als sie drei der begehrten Tickets ergattert. Zusammen mit ihrer Tochter Alice freut sie sich unglaublich auf das Theaterstück, natürlich nicht zuletzt dank dem Ausblick auf eine Mahlzeit. Jacob ist hingegen misstrauisch, er zweifelt noch am scheinbaren Glück seiner Familie. Trotzdem macht sich die kleine Familie am darauf folgenden Abend auf zum leer stehenden Hotel, in dem das Theater aufgeführt werden soll.

Gitte Witt und Thomas Gullestad in Kadaver
Leonora und Jacob im mysteriösen Hotel | Bild: Netflix

Was verbirgt sich hinter den Mauern dieses Hotels?

Mit grosser Freude empfängt der Veranstalter, Mathias, seine Gäste. Bereits nach einigen wenigen Worten zur Begrüssung wird den Leuten eine Mahlzeit serviert. Und was für eine: Fleisch und Gemüse stapeln sich auf den Tellern und die Gäste greifen eifrig zu. Sie alle können ihr Glück kaum fassen. Als dann schliesslich alle satt sind, eröffnet ihnen Mathias den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit. Sie alle sollen heute Teil eines Theaterstücks werden. Dieses soll nicht auf einer Bühne, sondern im gesamten Haus aufgeführt werden. Die Gäste werden ermutigt, den verschiedenen Schauspielern zu folgen und sich die jeweiligen Handlungsstränge anzusehen, die sie am meisten interessieren. Um die Schauspieler von den anderen Gästen unterscheiden zu können, werden Masken ausgeteilt. Wer eine Maske trägt, ist ein Zuschauer; wer keine trägt, gehört zu den Schauspielern.

So beginnen Leonora, Jacob und Alice, dass Hotel zu erkunden und sich die verschiedenen Schauspieler und ihre jeweiligen Akte anzusehen. Schnell wird klar, dass das Theaterstück nicht unbedingt für Alice und die anderen, anwesenden Kinder geeignet ist. Trotzdem dringt die Familie immer tiefer in die Gänge und Zimmer des Hauses vor, immerhin handelt es sich nur um ein Spiel. Oder etwa nicht? Urplötzlich verschwindet Alice und auch wenn sich Leonora und Jacob alle Mühe geben, ihre Tochter bleibt verschwunden. Nach und nach treffen sie während ihrer Suche auf andere Gäste, die ebenfalls zunehmend nervös sind. Allem Anschein nach ist Alice nicht die Einzige, die verschwunden ist. Bald machen Leonora und Jacob eine beängstigende und verstörende Entdeckung nach der anderen und es wird klar, dass der Veranstalter Mathias ganz andere Pläne mit seinen Gästen hat, als zuvor angenommen. Können Leonora und Jacob ihre Tochter finden und dem Grauen des Hotels entkommen?

Kadaver
Schauspieler, Zuschauer oder Mitarbeiter? | Bild: Netflix

Altbekanntes Setting aber innovative Story

Kadaver gehört zu den Filmen, nach denen ich nicht explizit gesucht habe. Ich wusste nicht, dass es ihn gibt und bin zufällig darauf gestossen. Daher hatte ich keine besondere Erwartungshaltung, sondern habe mir ganz einfach einen spannenden und schön gruseligen Film erhofft. Diesen Wunsch hat mir Kadaver zu grossen Teilen erfüllt. Ganz besonders angesprochen hat mich hierbei das Setting der Geschichte: Das postapokalyptische Norwegen mit seinen dunklen, zerstörten Strassen und Häusern ist schön in Szene gesetzt. Ausserdem ist die Darstellung der Menschen, die unter der Hungersnot leiden, sehr glaubwürdig und somit haben mich die ersten paar Minuten bereits sehr überzeugt. Auch die Geschichte selbst ist natürlich interessant. Ein Gruselhotel ist natürlich in der Welt des Films, insbesondere bei Horrorfilmen, nichts Neues. Ein grosses Gebäude als Drehort zu nutzen und den Grossteil der Handlung darin spielen zu lassen, ist zwar nicht innovativ aber im Film Kadaver gut gelöst.

Innovativ hingegen ist die Story, die auf den ersten Blick ziemlich abwegig und unrealistisch wirkt. Ohne gross spoilern zu wollen: Mathias hat seine ganz eigene Technik entwickelt, sich selbst und seine Mitarbeiter und Schauspieler vor der Hungersnot zu schützen. Auch wenn dies erst sehr weit hergeholt wirkt, stellt man sich im Verlauf der Geschichte dann doch die Frage: Wie weit würde man gehen, um sich vor dem Hungertod zu bewahren?

Kingsford Siayor
Was geht hinter den Mauern des Hotels vor? | Bild: Netflix

Kadaver überzeugt mit seinem norwegischen Cast

Wie erwähnt stammt der Film Kadaver aus Norwegen, so auch der gesamte Cast. Es handelt es sich um Schauspielerinnen und Schauspieler, die mir bislang unbekannt waren. Nur gerade von Thorbjørn Harr, der Mathias spielt, weiss ich mittlerweile, dass er in der Erfolgsserie Vikings einen Auftritt hat. Doch auch wenn mir die Schauspieler von Kadaver bisher kein Begriff waren, muss ich ihre Darbietung in den meisten Fällen loben.

Thorbjørn Harr ist hier sogleich der am auffallendste Protagonist, der seiner Figur viel Mystik verleiht. Leider hat diese eine relativ unnötige Hintergrundgeschichte, auf die man hätte verzichten können. Auch der restliche Cast macht seine Sache gut. Leonora wird von der Schauspielerin Gitte Witt gespielt, die die Hauptfigur sehr gut darstellt. Thomas Gullestad spielt ihren Partner Jacob, seine Arbeit ist in Ordnung, überzeugt dann aber im Vergleich zu den anderen nicht im hohen Masse. Die junge Tuva Olivia Remman in der Rolle der Alice, macht die Familie dann komplett. Scheinbar handelt es sich, zumindest im internationalen Rahmen, um ihren ersten Auftritt in einem Film und dafür macht sie ihre Sache sehr gut.

Thorbjørn Harr in Kadaver
Mathias kennt keine Gnade, was hat der Theater-Veranstalter vor? | Bild: Netflix

Alice im Wunderland oder Alice in Kadaver?

Insgesamt hat mir Kadaver ziemlich gut gefallen. Der Film gehört ganz klar nicht zu den Highlights unter den Horrorfilmen, dafür ist die Handlung zu vorhersehbar. Ausserdem scheint es der Geschichte nach einiger Zeit an neuen Ideen zu fehlen. Auch das Ende ist dann leider nicht besonders gut gelungen. Und doch: Das schöne Setting und die guten, schauspielerischen Leistungen des Cast machen die meisten negativen Faktoren wieder wett. Auch ist Kadaver meistens sehr spannend. Zusätzlich fielen mir zunehmend die Parallelen zu Lewis Carrolls Alice im Wunderland auf; ein Mädchen namens Alice, das Theaterstück wird als «Märchen» angepriesen und in beiden Geschichten führen Spiegel in eine andere Welt. Ich nehme an, dass diese Referenz gewollt war und auch wenn sie keinen weiteren Nutzen bringt, war es doch eine nette Anekdote.

So ist Kadaver letzten Endes ein Film, den man sich gut ansehen kann, wenn man sich ein wenig gruseln möchte. Für Fans von Horrorfilmen ist der Streifen definitiv eine Empfehlung, immerhin wartet Kadaver mit einigen blutigen und gut in Szene gesetzten, morbiden Momenten auf. Alle anderen, die mit Horrorfilmen wenig bis gar nichts anfangen können, sollten aber die Finger von Kadaver lassen.