Am 15. Juni kam mit ”Asteroid City“ nun der 11. abendfüllende Spielfilm von Wes Anderson in die Schweizer Kinos. Ganz im Sinne der Weltraumthematik bietet Wes Anderson auch diesmal eine regelrechte Horde an Stars und Sternchen. Nebst alteingesessenen Anderson-Schauspielern wie Jason Schwartzman, Adrien Brody und Tilda Swinton, sind u.a. Scarlett Johansson, Tom Hanks und Steve Carell mit von der Partie. Die Erwartungen an ”Asteroid City“ dürften gross gewesen sein; jüngst kursierte nämlich auf Social Media der Trend, Videos im Stile Wes Andersons hochzuladen. Doch hat ”Asteroid City“ auch mehr zu bieten als Andersons Ästhetik, oder versteckt er sich hinter der Fülle an Promis?
Von Sand und Sternen
Eine Hauptstrasse. Angrenzend eine Autowerkstatt und ein Kiosk. Ein unfertiger Highway, der trostlos am Strassenrand steht. Ein Krater, verursacht durch einen Meteoriten. Und: Ganz viel Sand. Ungefähr so stellt sich die Wüstenortschaft Asteroid City dem Zuschauer vor, mit dem für Wes Anderson typisch starrem Schwenken der Kamera. Das Aufzählen der Bestandteile dient dabei nicht nur zur Etablierung des Settings, sondern erinnert auch an eine Auflistung von Bühnenelementen. Und genau daraus besteht Asteroid City auch; sie existiert nicht wirklich, ist nur Attrappe. Dies wird dem Zuschauer gleich zu Beginn des Films in einer Rahmenhandlung klargemacht: Bei «Asteroid City» handelt es sich um ein Theaterstück, und die Ortschaft dient dabei als Bühne.
Wenn die Show zur Realität wird
Die Prämisse des Stücks ist schnell erklärt: Jedes Jahr zieht Asteroid City im Rahmen der «Junior Stargazer Convention» Besucher an, um das Datum des Meteoriteneinschlags zu zelebrieren. Zudem küren die Menschen einen Schüler, der eine besonders hervorragende Erfindung präsentieren kann (natürlich kommen dann auch nur abgespacete Sachen wie eine tödliche Strahlenpistole vor). Aus diesem Grund reisen auch im Jahre 1955 mehrere Elternteile mit ihren intelligenten Schützlingen in die Ortschaft. Doch die Convention wird jäh unterbrochen durch einen ungewöhnlichen Besucher; den Gästen wird von der US-Regierung schliesslich eine einwöchige Quarantänepflicht auferlegt. Zunehmend schälen sich dabei verschiedene Dynamiken zwischen den Figuren heraus, insbesondere zwischen den Elternteilen und Kindern der Steenbecks (Jason Schwartzman als Vater) und der Campbells (Scarlett Johansson als Mutter).
Doch es wäre kein Anderson-Streifen, wenn nicht noch eine weitere Handlungsebene vorhanden wäre: Parallel zur Aufführung des Stücks gewährt Wes Anderson auch Einblicke in dessen Entstehungsprozess und die Geschehnisse hinter der Bühne. Dabei trennt Anderson auf visuelle und technische Weise die zwei Ebenen klar voneinander ab. Während das Stück selber im Breitbildformat und farbig dargestellt wird, ist die «reale» Welt ausserhalb des Stücks in schwarz-weiss getaucht und im Normalbildformat gefilmt. Somit durchbricht Wes Anderson auch mal inhaltlich die vierte Wand, die er sonst so gerne durch nahe Frontalaufnahmen von Gesichtern zu zerstören pflegt.
”Asteroid City“ ist ästhetisch
Beim Besprechen eines Films von Wes Anderson kommt man nicht drumrum, seinen unverkennbaren Stil zu beleuchten. Und mit ”Asteroid City“ gelang ihm ein ausserordentlich ästhetisches Werk: Die Ortschaft Asteroid City strotzt nur so vor liebevoll gestalteten Requisiten und Gebäuden in Weiss und grellen Pastellfarben; im Hintergrund ist stets der Wüstensand dezent präsent und die Charaktere sind gekleidet im schicken Vintage-Stil. Der ganze Film sieht so aus, als ob verbleichte Retro-Postkarten aus einem Wüstenstädtchen lebendig geworden wären; jede Kameraeinstellung und jede Requisite ist exakt arrangiert und platziert. Dabei bleibt Anderson auch bei diesem Film seiner typischen symmetrischen Bildkomposition treu.
Die Szenen in der Wüstenortschaft sehen allesamt sehr artifiziell aus, was jedoch perfekt passt zu den Figuren und der Tatsache, dass Asteroid City eigentlich ein Bühnenbild ist. Dagegen kontrastieren die Szenen, die sich in der realen Welt hinter und neben der Bühne abspielen: Die Figuren werden der farbigen Traumwelt von «Asteroid City» entzogen und wirken in schwarz-weiss sogar fast realer. Anderson’s Version von der Welt fernab der bunten Bühne wirkt öde und deprimierend, und thematisiert mitunter auch passenderweise die persönlichen Probleme der Schauspieler des Stückes. ”Asteroid City“ oszilliert immerzu gekonnt zwischen Realität und Fiktion, vermischt diese zwei Welten miteinander und löst sie wieder auf.
Die Devise lautet Distanz
Auch wenn laut Wes Anderson die Quarantäne in seinem Film keine Anspielung auf die Corona-Pandemie sein sollte (während der die Dreharbeiten auch stattgefunden haben), kommt die Distanz zwischenmenschlich und räumlich doch recht häufig in ”Asteroid City“ vor. Da ist im Stück einerseits der zuvor erwähnte Vater der Steenbecks, dessen entfremdete Beziehung zu seinem Schwiegervater und seinen Kindern thematisiert wird. Midge Campbell ist beruflich erfolgreich, jedoch privat nicht wirklich mit ihrer Tochter Dinah verbunden. Auch zwischen den anderen Erwachsenen besteht eine unbeholfene Distanz, die jedwede romantische Entwicklung im Wüstensand versickern lässt. Auch abseits der Bühne begegnen sich die Figuren zaghaft, mitunter sogar kalt; Beziehungen zwischen den Schauspielern und den anderen Theaterschaffenden werden thematisiert, jedoch immer auf Distanz.
Einzig die Kinder im Stück scheinen befreit von der Starrheit der Erwachsenen zu sein und schmieden Pläne, spielen und musizieren miteinander und küssen sich sogar. Jedoch fühlen auch sie sich entfremdet. Aber nicht von anderen Menschen, sondern von der Erde selbst, wie Dinah es folgendermassen in Worte fasst: «Sometimes I think I feel more at home outside the Earth’s atmosphere.» Dieser Satz kann auf nahezu alle Figuren in ”Asteroid City“ übertragen werden. Meiner Meinung nach ist es eher weniger ein Film über Liebe, Verlust und Familie (laut einiger Reviews) sondern ein Film über das Gefühl der Entfremdung. Dabei eignet sich das Setting der abgelegenen Wüste und die Weltraumthematik perfekt. Die Räumlichkeiten scheinen unendlich, jedoch ist man durch äussere Umstände mitunter eingezwängt, wie Anderson durch die Quarantäne zeigt.
Mein Fazit zu ”Asteroid City“
Nun, was will Wes Anderson mit ”Asteroid City“ vermitteln? Ich denke es ist vorallem eine Erkundung von zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Gefühl der Fremde, ohne viel Handlung (denn die geht grösstenteils wirklich nicht über die oben erwähnten Punkte hinaus und versandet regelrecht). Wer also viel Action mag, für den ist dieser Film absolut keine Empfehlung. ”Asteroid City“ ist aber auch eine Spielerei mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion, ein künstlerisches Experiment, ähnlich den wissenschaftlichen Projekten der talentierten Kinder. Um den Film zu mögen, muss man nicht ganz verstehen was Wes Anderson dem Zuschauer damit sagen wollte. Auch wenn die Handlung etwas trostlos erscheint, kommen dennoch sehr viel Situationskomik und lustige Details vor, wie die beiläufigen Atombombentests in der Ferne oder ein Automat, an dem man Grundstücke kaufen kann. Durch die alleine lohnt es sich, sich den Film anzuschauen. Aber bitte nichts von der Handlung erwarten.
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