Nun kann man die vier Elemente auch hierzulande filmisch erleben: Pixars neuster Animationsfilm Elemental ist ab 22. Juni Teil des deutschsprachigen Kinoprogramms. Seit Jahren begeistert Pixar mit seinen aussergewöhnlichen Ideen und Charakteren, die uns neue Sicht- und Lebensweisen erschliessen. Laut Fans folgen Pixarfilme immer derselben Formel: «What if x had feelings?» Das x stand bis jetzt schon für Ratten, Autos, Tote und sogar Emotionen selber. Und dank Elemental kann man nun auch die Gefühlswelt der vier Elemente erleben. Aber kann der Regisseur Peter Sohn mit Elemental die Qualität aufrechterhalten? Oder köchelt Pixars Kreativität zurzeit eher auf Sparflamme?
Feuer lebt frugal, Wasser lebt wohlhabend
Auf der Suche nach einer besseren Zukunft wandern die zwei Feuerwesen Bernie und Cinder nach «Elemental City» aus. In der Metropole sind die vier Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer ansässig, jedoch ist die Stadt infrastrukturell auf die ersten drei Elemente ausgerichtet. Feuerwesen sind in der Unterzahl und sammeln sich im ärmeren Viertel «Firetown». Dagegen geniessen vorallem die Wasserwesen Reichtum und Komfort in gläsernen Hochhäusern. Nichtsdestotrotz fassen Bernie und Cinder Fuss und führen einen Gemischtwarenladen, den ihre Tochter Ember (gesprochen von Emilia Schüle) eines Tages übernehmen soll.
Mit viel Elan und feurigem Temperament versucht Ember ihrem Vater Bernie zu beweisen, dass sie der Aufgabe gewachsen sei. Doch ausgerechnet am Tag, an dem sie den Laden zum ersten Mal als Prüfung alleine führen darf, geschieht eine Katastrophe: Die Wasserleitungen explodieren und fluten den Keller des Ladens. Und als wäre dies nicht genug, schwimmt in den Fluten ein wässriger Stadtinspektor namens Wade, der von Jannis Niewöhner synchronisiert wird. Wade sieht sich gezwungen, den Laden bei der Stadtverwaltung zu melden, da er gegen Sicherheitsrichtlinien verstosst. Ember versucht den Laden ihrer Familie vor seinem Schicksal zu retten, und kommt Wade dabei näher. Doch Feuer und Wasser zusammen – geht das überhaupt?
Interview mit Jannis Niewöhner und Emilia Schüle über Elemental
Elementare Gegensätze: Abstossend…
Elemental konzentriert sich durch die Protagonisten Ember und Wade vor allem auf die Elemente Feuer und Wasser und deren Gegensätzlichkeiten. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Elemental metaphorisch für die Lebensrealität von nicht-europäischen Immigranten in New York steht; diese werden von den Feuerwesen dargestellt. Seit ihrer Ankunft in Elemental City sehen sich Bernie und Cinder mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert: Einerseits heissen sie ganz anders, doch ihre fremde Sprache wird beim Einbürgerungsamt nicht verstanden. Die Konsequenz: Sie bekommen englische Namen. Auch sind die ersten Minuten des Filmes untertitelt, da sie sich in «feurisch» unterhalten. Ihr extrem heisses Essen (auf Englisch «hot food», wobei «hot» auch für «scharf» stehen kann) ist für die Wasserwesen ungeniessbar; na, klingelt da etwas? Und ihr Viertel, die «Firetown» spiegelt Verhältnisse einer Chinatown oder der Bronx wider. Das ist auch von Regisseur Peter Sohn so gewollt, da er selbst in der Bronx aufwuchs und Elemental darauf basieren soll.
Der Film spricht auch ernstere Themen wie strukturellen Rassismus gegen Feuerwesen an, den Ember schon als kleines Kind erfahren muss. Auch die Infrastruktur ist rassistisch durchdrungen, da von allen Ecken das für die Feuerwesen gefährliche Wasser droht. Dagegen geniessen die Wasserwesen eine richtige «water privilege», leben feudal und gehen gut bezahlten Berufen nach. In einem flüchtigen Shot erfährt man, dass sie die erste Immigrantenwelle bildeten, und schon seit einigen Jahrhunderten «Elemental City» bevölkern. Jedoch behandelt Elemental all diese Thematiken leider nur oberflächlich und schöpft deren Potenzial nicht vollends aus.
…und anziehend
Trotz dieser Gegensätze sprühen die Funken zwischen Ember und Wade. Für Pixar-Verhältnisse ist Elemental ungewöhnlich romantisch, da dieser Aspekt den Grossteil der Handlung ausmacht. In erster Linie ist Elemental deshalb ein Liebesfilm, und damit der erste seiner Art aus dem Hause Pixar. Vorherige Werke enthielten romantische Handlungsstränge, jedoch nicht in solch einem Ausmass wie Elemental. Auch wenn dadurch der Film etwas banaler erscheint, konnte er mich dennoch berühren. Vorallem die zweite Hälfte des Films geht eingehend auf ihre unterschiedlichen Lebenswelten und Realitäten ein. Auch charakterlich unterscheiden sich Ember und Wade stark voneinander, passend zu ihren Elementen: Während Ember temperamentvoll und energetisch ist, bildet Wade den ruhigeren (aber auch tränenreicheren) Gegenpart. Trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Unterschiede zeigt Elemental auf, wie Ember und Wade gegenseitig ihre besten Seiten durch den anderen entdecken.
Technisch nicht auf Sparflamme gekocht
Visuell ist Elemental meiner Meinung nach nicht das ansprechendste Werk Pixars (da sind Werke wie Coco, Soul oder Ratatouille schöner gestaltet), jedoch ist Elemental bis dato der aufwendigste, und einer der teursten Pixarfilme. Laut Produzentin Denise Ream ist dank der Protagonisten praktisch jede Einstellung eine Effekt-Einstellung; vorallem die Wasserwesen waren animationstechnisch eine Herausforderung. Da Pixar eher auf flache und opake Oberflächen spezialisiert ist, musste für die transparenten Elemente eine ganze Produktionspipeline auf die Beine gestellt werden.
Diese Herausforderungen erklären sehr wahrscheinlich auch das eigentümliche Aussehen der Feuerwesen. Sie verschmelzen nicht ganz mit dem restlichen Look des Films, und wirken nahezu losgelöst von ihrer Umgebung. Aber vielleicht ist das auch so gewollt, um ihre Fremdartigkeit visuell zu unterstreichen? Auf den ersten Blick erinnert ihr Aussehen an einen Mix zwischen Ponyo und Calcifer (beides Studio Ghibli-Charaktere). Regisseur Peter Sohn arbeitete auch an der englisch-sprachigen Version des Filmes Ponyo, und liess sich bei den Feuerwesen offenbar davon inspirieren.
Mein Fazit zu Elemental
Elemental ist eine Metapher für Rassismus und die Lebensrealität von Immigranten, eingebettet in eine Liebesgeschichte zwischen zwei unterschiedlichen Elementen. Leider geht durch den überbordenden romantischen Aspekt das Potenzial für zwei Sachen verloren: Einerseits für eine kreativere Handlung, andererseits für einen stärkeren Fokus auf die ernsteren Themen. Elemental läuft Gefahr, zu einer kinderfreundlichen Kopie von Romeo und Julia reduziert zu werden, obwohl der Film wichtige Themen darüber hinaus anspricht. Auch wenn die aufkeimende Beziehung und die Unterschiede zwischen Ember und Wade rührend dargestellt sind, hätte ich mir mehr schrullige Ideen gewünscht; bleibt zu hoffen, dass Pixar die Flamme seiner Experimentierfreudigkeit im nächsten Projekt wieder auflodern lässt.
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