Daisy Edgar-Jones als Kya in Der Gesang der Flusskrebse im Interview

Der Gesang der Flusskrebse: Wie überzeugend ist die Romanverfilmung?

Das Krimidrama Der Gesang der Flusskrebse (engl. Where the Crawdads Sing) feierte Schweizer Premiere am 75. Locarno Film Festival. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Delia Owens aus dem Jahre 2018. Regisseurin Olivia Newman hat sich dem Stoff angenommen und mit Daisy Edgar-Jones in der Hauptrolle einen rund zweistündigen Film realisiert. Im Interview weiter unten erklärt uns Daisy, warum sie die Dreharbeiten so aufregend fand. Doch wie gut ist der Streifen und kann er es mit anderen Krimis aufnehmen?

Es war einmal in den Sümpfen von Barkley Cove…

North Carolina, 1970: Zwei Polizisten entdecken in den Sümpfen, unweit von Barkley Cove, die Leiche von Chase Andrews. Da die sterblichen Überreste neben einem Feuerwachturm gefunden wurden, könnte Chase entweder gestürzt oder in den Tod gestossen worden sein. Kurz darauf nehmen die Beamten die junge Kya, die von den Bewohnern der Kleinstadt als «Sumpfmädchen» bezeichnet wird, fest. Da sie ein Verhältnis zum Verstorbenen hatte, sind praktisch alle von ihrer Schuld überzeugt. Der Anwalt Tom Milton nimmt sich der leisen, jungen Frau an und verspricht, sie vor dem Gericht zu vertreten. So erfährt er die wahre, traurige Geschichte des Sumpfmädchens…

1950: Catherine «Kya» Danielle Clark lebt mit ihren Eltern und vier älteren Geschwistern in einer kläglichen Holzhütte in den Sümpfen von North Carolina. Schon früh zeigt sie eine Begeisterung für die Flora und Fauna des Sumpfs. So beginnt sie, sämtliche Pflanzen und Lebewesen zu zeichnen. Allerdings ist ihre Kindheit alles andere als fröhlich. Ihr gewalttätiger und dauerbetrunkener Vater schlägt die Mutter und seine Kinder wegen Nichtigkeiten. Nachdem die Geplagten die Flucht ergriffen haben, bleibt nur noch Kya mit ihrem Vater in den Sümpfen. Dieser bringt ihr die Fischerei und die Gefahren des Lebens bei. Als er jedoch auch verschwindet, bleibt Kya nichts anders übrig, als ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie fängt Muscheln und verkauft sie im nächstgelegenen Gemischtwarenladen vom gutmütigen Jumpin’ und seiner Frau Mabel.

Der gleichaltrige Junge Tate, der ebenfalls aus den Sümpfen stammt, bringt ihr Lesen und Schreiben bei. Die neu gewonnenen Kenntnisse nutzt Kya, um fortan ein Tagebuch über die Lebewesen ihres geliebten Moors zu verfassen. Daneben beobachtet sie genau und zeichnet jedes Tier detailliert auf. Lange dauert es nicht und die beiden verlieben sich ineinander. Als Tate sich jedoch für ein Studium in der nächstgrösseren Stadt entscheidet, beginnt die Beziehung zu bröckeln und Kya ist am Boden zerstört. Doch da taucht der attraktive und vermögende Chase Andrews auf und beginnt um sie zu werben.

Daisy Edgar-Jones als Kya und Taylor John Smith als Tate in Der Gesang der Flusskrebse
Kya lernt Tate besser kennen. | Bild: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Kein typischer «Whodunnit»

Der Gesang der Flusskrebse ist ein sehr atmosphärisch umgesetztes Werk. Dazu trägt vor allem die unheimliche Stimmung, die mit schönen Landschaftsaufnahmen ergänzt wurden, bei. Der sich unauffällig dazugesellende Soundtrack von Mychael Danna ergänzt die Szenerie optimal. Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei Der Gesang der Flusskrebse um die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Delia Owens. Da ich persönlich den Roman nicht gelesen habe, kann ich schlecht beurteilen, wie treu sich der Streifen am Buch orientiert. Bei Buchverfilmungen wird ja gerne das eine oder andere weggelassen, ergänzt oder neu erfunden. Spannend ist die Geschichte ohnehin. Das erreicht Olivia Newman dank den ausgedehnten Rückblenden, die das Leben von Kya schildern und ihr Verhalten sowie ihre Rolle in der Gesellschaft begründen. Der Zuschauer ist somit in der Lage, mitzufühlen und mit jeder weiteren Filmminute ein Stückchen mehr über Kya zu erfahren.

Hin und wieder springt der Streifen in die Gegenwart. Genauer gesagt in den Gerichtssaal von Barkley Cove und zeigt die Momente von Kyas Verurteilung. Somit wird der Zuschauer aus den teils malerischen Szenen der Vergangenheit herausgerissen und das ist auch gut so. Denn ein rein chronologischer Handlungsaufbau hätte die Geschichte völlig zerstört und langweilig gemacht. Eine typische «Whodunnit»-Geschichte à la Knives Out ist Der Gesang der Flusskrebse jedoch nicht. Dies, da der Kreis der Verdächtigen ziemlich klein ist und der Fokus des Films sehr stark auf das Leben der Protagonistin beschränkt ist. Somit ist es eher ein Drama als ein Krimi. Und von Ersterem gibt es viel zu sehen: Die arme Kya erlebt eine ziemliche Achterbahnfahrt der Gefühle. Einerseits muss sie im Kindesalter bereits Geld verdienen, lernen, wem sie vertrauen kann und die miesen Sticheleien der Stadtbewohner über sich ergehen lassen. Andererseits wird sie durch die Liebe zu Tate zutraulicher und verletzlicher. Dies wiederum wirkt sich auf ihr Vertrauen in Chase aus – welches ihr zum Verhängnis wird.

Daisy Edgar-Jones und David Strathairn aus Der Gesang der Flusskrebse
Ist Kya die Schuldige im Gerichtsprozess? | Bild: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Daisy Edgar-Jones blüht in Der Gesang der Flusskrebse auf

Die mutige und tapfere Kya Clark wird während den unterschiedlichen Zeitspannen von drei Schauspielerinnen dargestellt. Daisy Edgar-Jones spielt das Sumpfmädchen während der Teenager-Zeit und als junge Erwachsene. Viele Zuschauer kennen sie wahrscheinlich aus der kürzlich erschienenen Horror-Romanze Fresh oder aus der Miniserie Normal People, welche auf Sky Show verfügbar ist. Sie spielt Kya ausgezeichnet und schafft es, ihr Leiden überzeugend auf die grosse Leinwand zu bringen. Dazu zählen auch Momente, in denen die Naivität von Kya zu sehen ist. Nicht umsonst haben die Verantwortlichen des Locarno Film Festivals 2022 ihr den Leopard Club Award verliehen.

In England und in der weltweiten Filmbranche gilt sie als grosse Nachwuchshoffnung. Als ihre beiden Love-Interests sind Taylor John Smith sowie Harris Dickinson zu sehen. John Smith war in kleineren, im deutschsprachigen Raum eher unbekannteren Produktionen zu sehen. Dickinson hingegen spielte im letzten Kingsman-Streifen die Hauptrolle und war in See How They Run oder im zweiten Maleficent-Film im Cast. In Der Gesang der Flusskrebse verkörpert er den aus gutem Hause stammenden Verlobten von Kya. Dank seiner Grundmimik nimmt man ihm den reichen Schnösel sofort ab. Somit haben die Castingverantwortlichen einen grandiosen Job gemacht, mich haben jedenfalls alle Schauspielerinnen und Schauspieler gleichermassen überzeugt.

Harris Dickinson als Chase in Der Gesang der Flusskrebse
Was hat Chase vor? | Bild: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Ein zu sauberer Look zieht den Film in den Sumpf

Was mich hingegen sehr gestört hat, sind kleinere Details, die dennoch ein paar Kinofans auffallen könnten. Sie betreffen hauptsächlich den Look des Films. So gibt es gerade zu Beginn des Streifens eine eindrückliche Kamerafahrt über den Fluss. Dadurch soll die Grösse des Sumpfgebiets dargestellt werden. Das mag zwar imposant aussehen, jedoch zerstört der computergenerierte Kranich, der sich da aus dem Staub macht, die Illusion der unberührten Natur vollends. An dieser Stelle auf suboptimal umgesetzte CGI zu setzen, wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Auch tauchen im Streifen weitere Tiere auf, die eher aus dem Computer als dem Sumpf entsprungen sind. Es gibt jedoch weitere Momente im Film, bei denen auf VFX zurückgegriffen wurde und dies auch begründbar ist. So sieht beispielsweise in der Kussszene im Mittelteil der Schwanenschwarm schön und romantisch aus und unterstützt den kitschigen Moment optimal. 

Ein weiteres Detail, welches dem Film eher schadet, ist das Make-up von Kya. Ihr Look und ihr Gesicht wirken wie frisch aus dem Ei gepellt. Für ein Mädchen, das in den Sümpfen in einer Holzhütte lebt, Wasser aus dem Boden abpumpt und sich damit wäscht, sieht der Look zu schön aus. Auch die Kostüme von ihr wirken eher neu und frisch hergestellt.. Das ist bei einer Filmproduktion zwar naheliegend, jedoch gibt es Möglichkeiten, Kleider und Gegenstände mittels Patina-Techniken älter und schmutziger aussehen zu lassen. Schliesslich gab es in den 1950ern und vor allem in einem Sumpfgebiet sicherlich keine Waschmaschinen. Um es kurz zu machen: Keine Kratzer, kein Dreck – alles wirkt zu «clean» und lässt den Look des eigentlich aufwendigen Werks unglaubwürdig erscheinen. 

Daisy Edgar-Jones als Kya Clark in Where the Crawdads Sing
Kya und ihre Werke der Sumpflebewesen. | Bild: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Mein Fazit zu Der Gesang der Flusskrebse

Der neue Streifen von Olivia Newman trumpft dank schönem Schauspiel und einer gut erzählten Geschichte auf. Man spürt eine gewisse Spannung, die dank der Musik von Mychael Danna (Life of Pi, Moneyball, Cinderella u.a.) perfekt untermalt ist. Der extra von Taylor Swift beigesteuerte Song Carolina, den wir im Abspann zu hören bekommen, ist einfühlsam und passt hervorragend zum Konzept. Die weiter oben thematisierten Details, die mich persönlich gestört haben, verderben das Filmvergnügen nicht. Wer daher Lust auf ein Drama mit einem Schuss Krimi hat, ist mit Der Gesang der Flusskrebse bestens bedient. Von der rund zweistündigen Laufzeit des Streifens muss man sich nicht abschrecken lassen. Dank der thematisierten und durchgehend vorhandenen Spannung vergeht die Zeit wie im Fluge.

Interview mit Daisy Edgar-Jones

Anlässlich der Premiere von Der Gesang der Flusskrebse am 75. Locarno Film Festival haben wir Hauptdarstellerin Daisy Egar-Jones zum Interview getroffen.