Am 2. Juni startet das US-Drama Memory in den Schweizer Kinos. In Deutschland ist es erst ab dem 3. Oktober 2024 zu sehen. Darin erleben wir Jessica Chastain in einem aufwühlenden Drama, welches zeigt, wie mit einfachen filmischen Mitteln eine besondere Geschichte kreiert werden kann. Wie gut das gelungen ist, verraten wir in diesem Artikel.
Interview mit Jessica Chastain und Michel Franco am Zurich Film Festival
Im Rahmen der Galapremiere vom Memory am 19. Zurich Film Festivals haben wir Jessica Chastain und Regisseur Michel Franco am Green Carpet getroffen. Was uns die beiden über Memory erzählt haben, findet ihr im Video heraus.
Liebe gegen Demenz und Depression
Sylvia (Jessica Chastain) arbeitet als Sozialarbeiterin in New York. Dort betreut sie in einem Heim Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. Sie ist alleinerziehend und führt mit ihrer Tochter Anna (Brooke Timber) ein einfaches Leben in einer kleinen dunklen Wohnung. Nebenbei besucht Sylvia regelmässig die Treffen der Anonymen Alkoholiker. Sie leidet unter Schlafproblemen und Depressionen, ausgelöst durch ein schlimmes Trauma in ihrer Kindheit. Nach dem Jubiläum ihres ehemaligen High-School-Jahrgangs wird sie von einem bärtigen Mann bis nach Hause verfolgt.
Am nächsten Morgen findet Sylvia ihn frierend und tropfnass vor ihrer Haustür vor. Nun muss sie feststellen, dass der Unbekannte Saul (Peter Sarsgaard) heisst, an Demenz leidet und sich verlaufen hat. Mithilfe seines Notfallkontakts macht Sylvia seinen Bruder Isaac ausfindig und lässt Saul abholen. Begeistert von der netten Frau möchte dieser Sylvia sogleich als Sauls Pflegekraft anstellen. Nach kurzem Zögern sagt sie zu und die beiden lernen sich während gemeinsamen Spaziergängen, Spieleabenden mit Sylvias Tochter oder TV schauen nähern kennen. Allerdings gestaltet sich das als schwierig. Sauls Demenz schreitet voran und Sylvia kämpft mit ihrer schlimmen Vergangenheit. Noch dazu sind Isaac sowie Sylvias Mutter (Jessica Harper) gar nicht begeistert von der anbahnenden Liebe der beiden…
Unauffällige Kameraführung und starkes Schauspiel
Besonders auffallend ist die Machart des Films. Passend zu dem, stark nonverbal geprägten, exzellenten Schauspiel verhält sich die Kameraführung sehr unauffällig. So gibt es während des Streifens mehrheitlich ruhige Einstellungen, bei denen sich die Kamera praktisch nicht bewegt. So liegt der Fokus ganz auf dem Schauspiel und betont dieses. Insbesondere dann, wenn es sich bei den Szenen um Long-Takes handelt. Das sind Szenen, die oftmals minutenlang dauern und keine (sichtbaren) Schnitte aufweisen. Besonders emotional wird es bei einem Long-Take im letzten Drittel des Films. So konfrontiert Sylvia ihre Mutter und Schwester sowie ihren sichtlich distanzierten Ehemann mit einem dunklen Familiengeheimnis. Minutenlang dauert der Streit, bei dem die traumatisierte Sylvia zuerst in Tränen ausbricht und die Situation anschliessend mit einem Wutanfall beendet. Eine dramaturgische Meisterleistung.
Ein ungewöhnlicher Dreh mit einem aussergewöhnlichen Star
Viele Hollywood-Filme haben Millionenbudgets, selbst kleinere Independent- Streifen wie Moonlight, Get Out oder zuletzt Talk to Me kosten mindestens 5 Millionen Dollar. Der Independent-Streifen hatte ein Budget von gerade einmal 100 000 Dollar! Daher ist es sehr aussergewöhnlich, dass ein A-List-Star wie Jessica Chastain bei so einer Produktion dabei ist. Gemäss dem Magazin Indiewire kamen diverse Leute des Produktionsteams auf Regisseur Franco zu und «warnten» ihn von ihr. Schliesslich hatte sie unmittelbar vor den Dreharbeiten den Hauptdarstellerinnen-Oscar für die Hauptrolle in The Eyes of Tammy Faye gewonnen. Sie befürchteten, dass der Interstellar-Star nun als Diva auftreten und das Projekt sogar verlassen würde. Dem war aber nicht so. Jessica Chastain blieb bodenständig und brachte sogar eigene Kostüme ans Filmset, die sie selbst in einem Discounter gekauft hatte. Zudem verzichtete sie auf aufwändiges Make-up, um das Budget nicht zu strapazieren.
Klanglose Intensität in Memory
Dem aufmerksamen Publikum dürfte nicht entgehen, dass Memory keinen Soundtrack aufweist. Womöglich könnte das an dem kleinen Filmbudget liegen. Schliesslich kosten Komponisten, Orchester und Soundingenieure viel Geld. Zwischendurch gibt es zwar im Hintergrund ein paar ältere Songs zu hören, welche die Stimmung untermauern. Dazu gehört auch der Song A Whiter Shade of Pale der britischen Band Procol Harum aus dem Jahre 1967. Er ist insbesondere dann zu hören, wenn Saul allein ist und mit seinem schwindenden Gedächtnis kämpft.
Jessica Chastain am Zurich Film Festival geehrt
Memory wurde am 19. Zurich Film Festival als Gala Premiere präsentiert. Begrüsst wurden Regisseur Michel Franco und Hauptdarstellerin Jessica Chastain von Artistic-Director Christian Jungen, Managing Director Jennifer Somm und Moderator Max Loong. Und von vielen Fans am Green Carpet. Chastain zeigte sich sehr nahbar und posierte für zahlreiche Selfies. Dabei wäre es zur Zeit des Hollywood-Streiks beinahe nicht zu einem Auftritt am Festival gekommen. Da es sich um eine kleine Independent-Produktion handelt, erhielt das Team um Memory eine Sondergenehmigung von der SAG-AFTRA für die Promotion ihres Werks an Festivals. Nachdem Chastain den Golden Icon-Award des Festivals in Empfang genommen hatte, dankte sie allen Menschen, die sie hinter den Kulissen unterstützt hatten. Dazu zählen die Regisseure, die Kostümbildner, die Make-up-Artists und natürlich die Drehbuchautoren. Ihr ist es sehr wichtig, dass sie mit ihrem Schauspiel die menschliche Art und Weise so präsentieren kann, dass dadurch Verbindungen geschaffen und darüber diskutiert werden kann.
Mein Fazit zu Memory
Sowohl Jessica Chastain als auch Peter Sarsgaard machen in ihrer Darstellung alles richtig und erzeugen mit ihrem zurückhaltenden Schauspiel eine grosse Intensität und Emotionalität. Insbesondere Jessica Chastain als traumatisierte und ex-alkoholabhängige Sozialarbeiterin Sylvia lässt einen nicht los. Sie beweist einmal mehr ihre Vielseitigkeit. Gerade dann, wenn sie den Oscar für ihre Darstellung der gefühlt 3 Kilo-Schminke tragenden Tammy Faye bekommt und unmittelbar danach so etwas spielt. Was für ein Kontrast.
Memory ist zudem ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht Millionensummen benötigt, um eine Geschichte kinotauglich zu machen. Man kann bereits mit wenig Aufwand, einer eher minimalistischen Inszenierung und der richtigen Story einen grossen Impact landen. Michel Franco versteht es, die beiden ungleichen Schicksale der Protagonisten anhand des Themas Erinnerung geschickt miteinander zu verweben, dass daraus ein stimmiges Werk entsteht. Auch wenn die Geschichte traurig ist und das Publikum mit gemischten Gefühlen zurücklassen könnte. Dies hinsichtlich der Bewältigung von Traumas und dem Umgang mit Demenz.
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